Zwei Autoraser sind in Deutschland nach einem tödlichen Rennen wegen Mordes lebenslang verurteilt worden.

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      Zwei Autoraser sind in Deutschland nach einem tödlichen Rennen wegen Mordes lebenslang verurteilt worden.

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      Das Urteil trifft Hamdi H. wie ein Schlag ins Genick. Der schmale Mann, der jünger aussieht als 28, sackt zusammen, stützt sich mit geballten
      Fäusten auf der Anklagebank ab. Gemeinschaftlicher Mord. Lebenslange Haftstrafe. Lebenslange Führerscheinsperre. „Warum reden Sie überhaupt noch weiter?“, blafft er den Vorsitzenden Richter an. Ralph Ehestädt
      fordert H. auf, sich hinzusetzen. Doch der bleibt noch weitere 20 Minuten stehen. Schockstarre.

      Marvin N., der andere Angeklagte im Berliner „Kudamm“-Raser-Prozess, der in die Rechtsgeschichte eingehen wird, starrt ins Leere. Er sitzt, aber sein Mund steht offen. Man kann förmlich sehen, wie seine 25 Lebensjahre an seinem inneren Auge vorbeirauschen.

      Es ist das erste Mal in Deutschland, dass Raser wegen Mordes angeklagt – und auch verurteilt werden. Bislang lautete der gängige Schuldspruch fahrlässige Tötung, die Angeklagten kamen überwiegend mit Geld-, manchmal mit Bewährungsstrafen davon.

      In Bremen war kürzlich ein Motorradfahrer ebenfalls wegen Mordes angeklagt, dann aber wegen fahrlässiger Tötung auf zwei Jahre und neun Monate verurteilt worden. Der Fahrer hatte einen Fußgänger totgefahren, allerdings war dieser betrunken bei Rot über die Straße gegangen.

      "Das lässt sich nicht vergleichen“, sagt Ralph Ehestädt und fasst die Einzigartigkeit dieses Falls zusammen: Zwei PS-starke Sportwagen. Ein Rennen mit Geschwindigkeiten von bis zu 170 Stundenkilometern über Kurfürstendamm und Tauentzien, über eine
      Hauptverkehrsader, durch die selbst nachts wie zum Tatzeitpunkt am 1. Februar 2016 um 0.40 Uhr noch Verkehr fließt.

      Elf missachtete rote Ampeln, uneinsehbare Kreuzungen. Keiner der Angeklagten betätigte auch nur ansatzweise das Bremspedal, bevor Hamdi H. mit seinem Audi in den bei Grün auf die Straße einbiegenden Jeep von Michael Warshitsky krachte. Der 69-jährige pensionierte Arzt starb eingequetscht in seinem Wagen, der erst nach 72 Metern zum Liegen kam.

      Die Szenerie als „Schlachtfeld“ Hamdi und Marvin schleuderten in die Granitbegrenzung des Mittelstreifens.
      Glasscherben, Blechfetzen, Nummernschilder, die abgerissene Fahrertür des Audi flogen durch die Luft. Zeugen beschrieben die Szenerie als „Schlachtfeld“. Es sei pures Glück, dass nicht noch jemand anderes verletzt wurde.

      Mordwaffe Auto – auch das ist besonders an diesem Fall: Für die juristische Begründung muss das Gericht sogenannte Mordmerkmale feststellen. Hier sieht es als Merkmal die „Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels“: Die Fahrzeuge seien so
      schnell gefahren, dass sie nicht mehr kontrollierbar waren – und zur Gefahr für die Allgemeinheit wurden.

      „Ihnen geht gerade bestimmt viel durch den Kopf“, sagt Ehestädt in Richtung der Angeklagten. „Sind die Richter da vorne denn irre, wollen die ein Exempel statuieren ...“

      „Ja was wollt ihr denn, was wollt ihr denn?“ brüllt Hamdi H. dazwischen. Da kommt der aggressive Proll in ihm durch, den Zeugen beschrieben, den er vor Gericht aber gut versteckt hatte.

      Töten „billigend in Kauf“ genommen Der Knackpunkt dieses Verfahrens war eine Frage: War es Fahrlässigkeit oder Vorsatz? Das Gericht beantwortet sie so: Natürlich hatten die Raser keine Tötungsabsicht. Aber sie nahmen das extrem hohe Risiko, dass
      jemand durch ihr Rennen zu Tode kommt, „billigend in Kauf“. Für den „Kick der Geschwindigkeit“, für die Selbstbestätigung, die sie aus „Ampelstechen“ zogen. Mord mit bedingtem Vorsatz, lautet die Entscheidung.

      Hamdis Verteidiger hatten extra eine Schweizer Verkehrspsychologin mit einem Gutachten beauftragt, um den Vorwurf des Staatsanwalts zu entkräften, dass ihrem Mandanten das Risiko bewusst gewesen sei. Die Gutachterin befand, dass Hamdi H. tatsächlich
      denke, er habe bei solchen Rennen alles unter Kontrolle.

      „Raserei ist keine seelische Krankheit“ Marvins Verteidiger schlossen sich dem an: In der Raserszene sei es üblich, dass sich die jungen Männer selbst überschätzten. Sie seien nicht zu einem bedingten Vorsatz fähig. Ehestädt lässt das nicht gelten. „Raserei
      ist ja keine seelische Krankheit“, sagt er. Den beiden Angeklagten sei sehr wohl bewusst gewesen, was sie tun.

      Ausgerechnet ausdem verkehrspsychologischen Gutachten, dem vermeintlich geschickten Schachzug der Verteidiger, zieht das Gericht nun die Schlüsselsätze für seine Argumentation: Auf die Frage der Psychologin, ob er glaube, dass
      Marvin eine mildere Strafe bekommen könne, antwortete Hamdi: Nein, denn der habe das Risiko ja auch in Kauf genommen, er hätte das querende Auto genauso gut treffen können.

      Gleichgültigkeit. Das ist der entscheidende Charakterzug, den das Gericht beiden Angeklagten zuschreibt. Hamdi, der stolz auf seinen Spitznamen „The Transporter“ war, nach dem Titel eines französischen Actionfilms mit schnellen Autos.
      Der seine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker abbrach und seine Selbstbestätigung allein aus seinem aufgemotzten Audi A6 3.0 TDI Quattro zog. Der vierfach vorbestraft ist, wegen Fahrerflucht, Körperverletzung im Straßenverkehr, bewaffnetem Wohnungseinbruch, besonders schwerem Diebstahl.

      „Wir ficken die Straße!“ Marvin N., betont der Richter, sei zwar nicht vorbestraft, aber die 21 Verkehrsordnungswidrigkeiten in seiner Akte erzählten eine anschauliche Geschichte. Er habe es zum Beispiel geschafft, an nur einem Tag drei Knöllchen zu bekommen, um 0.13, 2.05 und 22.45 Uhr. „Das ist ganz schön beharrlich“.

      Freunde beschrieben den Ex-Soldaten und Türsteher als „arrogant“. Er „protzte“ mit seinem zwar geleasten, aber 381 PS-starken Mercedes-Benz AMG CLA 45. In dem Auto habe man sich nichtschminken dürfen, weil er sich um seine Alcantara-Ledersitze sorgte,
      erzählten Ex-Freundinnen entrüstet. In einem Handyvideo prahlt Marvin mit seinem Wagen, den ein Freund über den Kudamm lenkt. „Das ist der Lifestyle“, brüllt er in die Kamera. „Wir ficken die Straße!“

      Hätte er eine zeitliche Haftstrafe verhängen könnten, sagt Ehestädt, hätte er Marvin N. zu zwei bis drei Jahren weniger als Hamdi H. verurteilt, weil er nicht vorbestraft ist und zunächst noch an zwei roten Ampeln hielt, bevor auch er das Gaspedal durchdrückte. Aber da auf Mord zwingend lebenslänglich steht, bekommt er die gleiche Strafe – wenn der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigt. Nach der Verkündigung des Urteils geben die Verteidiger wütende Kommentare ab: Sie werden Revision einlegen.

      Maximilian Warshitsky, der Sohn des Opfers, ringt erst einmal um Worte. Mit diesem Ausgang hatte er, wie viele andere Beobachter, nicht gerechnet. Er könne nicht sagen, dass er sich freut, sagt sagt der 36-Jährige schließlich. Die Trauer um seinen Vater
      werde dadurch nicht gemildert. Aber er habe eine Hoffnung gefasst: Dass dieses Urteil andere Raser abschreckt. Und so etwas nicht wieder geschieht.
      (Quelle: welt.de/vermischtes/article162…mdi-H-wie-ein-Schlag.html)